P E P A S A L A S V I L A R
Pepa Salas Vilar: Norddurst
studioARCUS | Hannover | Vernissage | 12. Februar bis 9. April 2017
Lebensweltlicher Zauber
Sich den Arbeiten von Pepa Salas Vilar in dieser, der 70. Ausstellung im studioARCUS, zu nähern, bedeutet nichts weniger, als sich auf eine Reise, eine Expedition zu den Möglichkeiten der Kunst zu begeben.
„Theorien über den Ursprung der Kunst folgen vor allem zwei Richtungen. Der einen zufolge ist die Malerei darauf zurückzuführen, dass jemand Konturen oder Schatten kopiert oder nachzeichnet, sodass das Bild für die abwesende Person steht, dafür, wie sie aussieht, oder sie buchstäblich repräsentiert.“[i] In der kunsthistorisch und lebensweltlich stärksten Zuspitzung findet man das in der Stellung der Ikonen in der orthodoxen Liturgie und Spiritualität. „Die zweite Richtung, die Theorien über den Ursprung der Kunst einschlagen, hat etwas mit Sympathiezauber zu tun und geht davon aus, dass Ähnlichkeit eine mächtigere Verbindung zwischen Dingen ist als das bloße Erscheinungsbild (…) dass das Bild in einer magischen Beziehung zu dem steht, wovon es ein Bild ist. Daher ist das Bildermachen auf Kontrolle, Handhabung oder Manipulation ausgerichtet“.[ii] Die stärkste kunsthistorische und lebensweltliche Zuspitzung haben wir wohl in Voodoo-Zaubern.
Pepa Salas Vilar, promovierte Künstlerin aus Spanien, die nach Stationen in Polen und Italien seit 2011 in Hannover lebt und arbeitet, scheint sich mir künstlerisch mit diesem zweiten Ansatz Welt und Leben zu nähern. Selbst eine Tochter Andalusiens, zieht es sie in den Süden. Ihr Mann Markus hingegen schwärmt für den Norden. Norddurst heißt die Ausstellung.
Beide suchen sie zudem seit dem vergangenen Jahr ein Haus. Und in den Arbeiten von Pepa Salas Vilar tauchen, neben den in ihrem Werk bereits bekannten Symbolen: Wal, Farbspektrum, Boot, Mädchen, nun auch Häuser auf, werden in einem Bild „Llorar la casa“ zu Tränen.
Nun täte ich den Arbeiten von Pepa Salas Vilar Unrecht, würde ich sie auf Wunschzettelmalerei und Beziehungsbildchen reduzieren. Aber die Herkunft aus der eigenen Lebenswelt ist ein Motivstrang im Motivbündel und es ist eben Ausdruck der künstlerischen Professionalität, dass ihre Kunst darin nicht aufgeht. Ein Grundton klingt allerdings in dieser Motivationslage bereits an: die Sehnsucht nach Anderem, Unbekannten und Besserem. Der Wunsch nach Veränderung und Transformation.
Historische-politische Dimension
Auffallend in den meist in schwarz–weiß gehaltenen Arbeiten mit sehr bewussten Farbakzenten, ist der historische Look. Möbel und Kleidung aus den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die Figur Fridtjof Nansen, die immer wieder auftaucht. Auch Nansen hatte einen extremen Norddurst, er durchquerte als erster Grönland, versuchte vergeblich den Nordpol zu erreichen, über Monate hinweg. Er war zielgerichtet, ließ sich in seinen Plänen nicht beirren und zugleich so realitätsnah, dass er auch einen Plan B, Veränderung, Transformation zuließ. „Plan B“, der Titel eines Diptychons zeigt ihn aus dem Bild schauend, neben einem seltsam, auch wegen der eigenwilligen Positionierung im Bild, fremd wirkenden Eisbären in einem bürgerlichen Bad. Das Fremde und der Fremde – nicht nur in dieser Arbeit taucht, hier aber symbolisch verschlüsselt, ein wichtiges Thema von Pepa Salas Vilar in der Serie Norddurst auf: Flucht und Neuanfang in der Fremde. Es ist ein Thema, das sie selbst als Fremde in Deutschland oder Polen gut nachvollziehen kann. So fremd, unpassend wirkt der Eisbär im bürgerlichen Bad, Nansen mag nicht hinschauen. Und Nansen selbst war, nach seinen Erfolgen als Forscher und Wissenschaftler, als Hochkommissar für Flüchtlingsfragen des Völkerbundes nach dem Ersten Weltkrieg ein Kämpfer für Menschenrechte und –würde der Flüchtlinge. 1922 erhielt er für seine Verdienste um die Flüchtlinge den Friedensnobelpreis.
Die historische Dimension wird in den Arbeiten Pepa Salas Vilars bedrückend aktuell. Lebensweltlicher Kontext, historische Dimension und politische Aktualität verbinden sich exemplarisch in „Zuhause angekommen“. Eine Idylle wie in den Magazinen oder der Werbung der sechziger: Vater, Mutter, zwei Kindern im Wohnzimmer. Am Wochenende. Adrett und friedlich. Die Kinder spielen zu Füßen der Eltern mit Papierschiffchen und wäre nicht das Wohnzimmerbild mit dem Flüchtlingsschiff, wie es uns die Nachrichten seit Jahren vom Mittelmeer in die Wohnzimmer bringen, Lampedusa als Stichwort, es wäre die perfekte Idylle.
Die Flüchtlinge im Boot haben auch Norddurst – den Durst nach Freiheit, nach Lebensperspektive – auch nach Idylle. Und werden doch, so sie sicher im Norden ankommen, fremd bleiben. Sie werden sich von den Zugvögeln, die nach Afrika im Winter fliegen und im Frühling zurückkehren von Afrika erzählen lassen und es wird sie nähren wie das Futter der Schwalben ihre Küken, so im Bild „Regreso | Rückkehr“.
Engagierte Zeitgenossenschaft
Es ist faszinierend, dass die Sehnsuchtsbilder entstanden aus persönlicher Erfahrung und in historisch-politischem Kontext und aus der engagierten Zeitgenossenschaft Pepa Salas Vilars nicht Gefahr laufen als Agitprop-Malerei oder politische Betroffenheitsdeko missverstanden zu werden. „Zeitgenossenschaft im vollsten Sinne des Wortes ist“, so definiert es der Philosoph Heinz Robert Schlette, „eine Lebensform, die sich der ganzen Komplexität der jeweiligen Zeit stellt, anstatt ihr auszuweichen.“[iii] Das Gegenteil des Zeitgenossen ist der Ewig-Gestrige. Der Betonkopf.
Neo Rauch hat in einem Interview beschrieben, und mir scheint das sehr passend zu den Arbeiten von Pepa Salas Vilar, wann diese Gradwanderung gelingen kann: „Ein Kunstwerk, wenn es diese Bezeichnung verdient, soll Halt geben. Soll für einen Moment die Seele berühren und beglücken. Wenn ich gemeinsame Sache mit der Tagesschau mache, habe ich nichts gekonnt, außer mich als politischer Aktivist installiert zu haben.“[iv]
Pepa Salas Vilars Bilder beglücken durch die kleinen, symbolischen Hinweise auf die Dimension, den gestillten Durst, die gelingende Transformation, „Romper la Crisàlida“ (Die Puppe zerstören) als ein ambivalentes Beispiel, ohne den billigen Trost. Auch das Erschreckende, Schmerzliche kann künstlerisch schön sein, weil nah am Leben und der erwachsenen Auseinandersetzung damit. Gerade weil sich der Betrachter der Bilder nicht zurücklehnen kann in seiner Komfortzone, er herausgefordert wird durch das Unerträgliche. „Das Schöne ist das gerade noch erträgliche Unerträgliche oder das erträglich gemachte Unerträgliche“, beschreibt das der Kulturwissenschaftler Byung-Chul Han. „Ohne die Negativität der Gebrochenheit verkümmert das Schöne zum Glatten“. [v]
Der Glätte in ihren Arbeiten widersetzen sich die kleinen, symbolischen Hinweise Pepa Salas Vilars: Der Wal als Ausdruck von Mütterlichkeit, Stärke und Hoffnung – zugleich aber bedroht in seiner Existenz. Die Farbspektren, die für Ideen, Offenheit und Entwicklung stehen, aber auch bedroht sind, überblendet werden können. Das Haus als Heimat, als Endstation Sehnsucht mit der Gefahr der Unbeweglichkeit und lebensfeindlichen Festsetzung. Das Mädchen – voller Sehnsucht und Offenheit, dem Leben gegenüber – aber eben auch gefährdet und früh festgelegt. Das farbige Element im schwarz-weiß-grau gehaltenen Bild. Durch die störenden Elemente, die symbolischen Interventionen werden ihre Bilder fordernd, halten den Betrachter in Spannung, in Bewegung – lebendig.
Man muss diese Symbole Salas Vilars nicht kennen, nicht alle historischen Hintergründe wissen, um ihren Bildern begegnen zu können. Sie sprechen an, weil sie aus dem Leben kommen, lassen sich dechiffrieren, weil sie Narrative vorstellen, die sich malerisch vermitteln.
Letztlich lädt Norddurst zur Expedition an die Sehnsuchtsorte des eigenen Ich ein. Pepa Salas Vilars Bilder haben, um noch einmal Neo Rauch zu zitieren, die Kraft „die Seele zu berühren und zu beglücken“.
Wilfried Köpke, Hannover
[i] Richard Deacon: So, And, If, But. Schriften 1970 – 2012, Düsseldorf (Richter | Fey) 2014, S. 166
[ii] Richard Deacon: So, And, If, But. Schriften 1970 – 2012, Düsseldorf (Richter | Fey) 2014, S. 168
[iii] Heinz Robert Schlette: Zeitgeist, Zeitdeutung, Zeitgenossenschaft, in: Biotope der Hoffnung, CH-Olten (Walter) 1988, S. 36-46, hier S. 41
[iv] Neo Rauch, SZ-Magazin, 10.02.2017, S. 20
[v] Byng-Chul Han: Die Errettung des Schönen, Frankfurt am Main (S. Fischer) 2015, S. 57